Zeichnen heisst genau schauen. In den ersten Felszeichnungen der Menschheit ging es vor allem um das Festhalten von Jagd- und Kultszenen. Die erlebte und gedachte Welt wurde in einfachen Strichen an die Wand gezeichnet und diente als eine Art Skizze. Eine Orientierungshilfe, um das Erlebte zu verstehen. Nicht umsonst waren die ersten Philosophen genaue Naturbeobachter. Über längere Zeiträume hinweg schauten sie der Natur genau auf die Finger, um dann ihre Thesen in kondensierten Formeln wiederzugeben. Heraklit’s panta rhei – alles fliesst (bzw. alles bewegt sich fort und nichts bleibt) drängt sich bei Bröckel förmlich auf.
Im Zentrum von Bröckels Natursichtungen stehen die Bewegungsabläufe in der Natur, wie eben das Wogen der Äste und Blätter der Birke, das zum Ausgangspunkt einer Zeichnung wird. Wenn der Wind durch die Blätter streicht, konzentriert sich Bröckel visuell auf die Bewegung und lässt dabei den Stift akkurat über das Papier laufen. In einer konzentrierten Entspanntheit, die gleichzeitig los- und festhält, bringt sie intuitiv Bewegung aufs Papier. So entstehen ganze Reihen von Wind-, Regen- und Schneezeichnungen, die sie anschliessend betitelt, datiert, nummeriert und chronologisch archiviert.
Diese Naturbeobachtungen hat Bröckel konsequenterweise auf das Niederschreiben von Konzerten und sogar Fussballspielen ausgeweitet. In gebundenen Tagebüchern hält sie mit zweifarbigem Buntstift einzelne Sequenzen des Spielverlaufs fest. Ganze Weltmeisterschaften sind so fein säuberlich nach Match registriert und bewegungstechnisch aufgezeichnet.
Man kommt nicht umhin, an den kleinen Prinzen zu denken: Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Ausser bei Bröckel.
Karoline Bröckel lebt und arbeitet in der Nähe von München. Ihre Arbeiten sind Teil wichtiger deutscher Museumssammlungen wie dem Deutschen Bundestag Berlin, Kupferstichkabinett Berlin, dem Museum Kunst Palast Düsseldorf, dem Museum Folkwang Essen, der Pfalzgalerie Kaiserslautern und der Staatlichen Grafischen Sammlung München. Zuletzt waren ihre Arbeiten in der Eröffnungsausstellung des Zentrums für Zeichnung in Diepenheim, NL zu sehen.