Franz Wassermann

LIVING ROOM: ICH DAS KOLLEKTIV
16. November 2012 – 29. Dezember 2012

WIDMER+THEODORIDIS contemporary freut sich, Franz Wassermann bereits zum dritten Mal mit einer Einzelausstellung in Zürich zu präsentieren. Nach der letzten, raumfüllenden Installation ‘Existenz – Die Freiheit’ zeigt Wassermann in ‘LIVING ROOM: ICH DAS KOLLEKTIV’ neue Klebebandarbeiten, Objekte, Zeichnungen, Videos und Fotografien.

Robert Fleischanderl: Zwischen Kollektiv und Individuum, zwischen Präparaten und Reliquien.

“Franz Wassermann beschäftigt sich in seinen Arbeiten immer wieder mit dem Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv. Das Verhalten einer Mehrheit gegenüber einer Minderheit oder einem Einzelnen ist auch immer ein Spiel der Mächte, und da die Geschichte von den Mächtigen geschrieben wird, werden die unangenehmen Kapitel oft ausgelassen. Er spürt diesen Vorgängen zwischen der Masse, der Mehrheit und dem Individuum, der Minderheit, dem Ich nach. Dies macht er mit Akribie, Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein diesen vielfältigen und allzu oft verleugneten und vergessenen Prozessen gegenüber, wie die Projekte ‘Schubhaft’, ‘Narben - Kunstprojekt zu sexueller Gewalt’ und ‘Temporäres Denkmal - Prozesse der Erinnerung, einer Arbeit über die Opfer der NS-Euthanasie’, zeigen. 

In seinem neuen Werkkomplex LIVING ROOM löst er sich von den grossen in sich geschlossenen Projekten und kehrt zur kleinen Form zurück, die aber thematisch nicht weniger relevant oder gar brisant ist. LIVING ROOM sind Ensembles aus den unterschiedlichsten Gegenständen, in den unterschiedlichsten Formaten und Medien. Franz Wassermann, Bildhauer, verweigert sich aber jeglicher Einschränkung und verwendet Malerei, Zeichnung, Skulptur, Video, Fotografie, Druckgrafik, Performance, Aktion und Installation. In den letzten 20 Jahren sind somit Einzelarbeiten, Serien, Langzeitprojekte mit den verschiedensten, jeweils adäquatesten Medien entstanden. LIVING ROOM schöpft aus diesem Fundus, fügt ihnen neue Objekte hinzu, und verwebt alle Einzelteile, von Originalen, Dokumenten, Körperteilen bis zu Insekten, zu einem neuen sinnstiftenden Ganzen.

Das verbindende Element in LIVING ROOM ist die Form der Präsentation. Alle Objekte und Artefakte werden in Rahmen, Vitrinen, auf Sockeln, Podesten, Regalen und ähnlichem, alle aus Aluminium, dem Betrachter zur Schau angeboten. Wie auf einem Aluminiumtablett finden wir die unterschiedlichsten Dinge, um darin zu schwelgen, zu gustieren, sich daran zu erregen oder zu ekeln - aber vor allem um sich stimulieren zu lassen und Zusammenhängen nachzuspüren. Damit werden die Einzelteile zum Kollektiv, das Kollektiv in seiner Metallfassung zum Kunstwerk. Da ist es nur konsequent, dass auch die Rahmen und Sockel als Teil des Kunstwerkes signiert sind.

Präsentiert in diesen technisch anmutenden Metallvitrinen und -displays werden die Objekte zu wissenschaftlichen Präparaten, um vom Betrachter genau studiert zu werden. Das Ensemble ist vergleichbar einer wissenschaftlichen Sammlung. Gleichzeitig sind die Objekte konserviert in ihren Vitrinen, ähnlich den Beweisstücken in einer Asservatenkammer, um Zeugnis abzulegen über ihre Geschichte. Sie erhalten die Aura des Beweisstückes – das hat dieser besessen und jenes damit getan. Von der Aura des Beweisstückes ist es nicht mehr weit zum emotional und religiös aufgeladenen Pathos von Reliquien. Die Vitrine wird damit auch zum Schrein, vor dem die Besucher staunen können.

Die Aluminiumvitrinen von Franz Wassermann schaffen elegant den Kunstgriff, kühle Distanz zu den Objekten zu wahren und gleichzeitig grosse Emotionen zuzulassen. Harte Fakten und starke Gefühle treffen uns als Betrachter gleichzeitig. Das ist beeindruckend. 

So wie Franz Wassermann in LIVING ROOM aus Einzelteilen ein Kollektiv formt, können auch die Betrachter der Ausstellung in dieses Kollektiv aufgenommen, Teil des Kunstwerkes werden und dieses mitgestalten. In Form von Gesprächen, Diskussionen, Texten, Beiträgen unterschiedlichster Art können sie am Kollektiv teilnehmen. Auch der Austausch von einzelnen Objekten ist möglich und generiert neue Aspekte und Zusammenhänge. Das Kunstwerk wird im Zusammenspiel zu einem sich stetig verändernden Körper. Dieser interdisziplinäre Charakter ist eine besondere Stärke der Arbeiten von Franz Wassermann. LIVING ROOM wird vom statischen Kunstwerk zum künstlerischen Prozess, der sich stetig verändert. Der Prozess ist aber auch umkehrbar. LIVING ROOM ermöglicht es uns, den Dingen auf den Grund zu gehen. Es konfrontiert uns mit einer beeindruckend emotionalen Beweislage.”