Stefan Thiel |
Nadine Wottke

IF YOU CAN, GIVE ME LOVE
31. August 2012 – 13. Oktober 2012

WIDMER+THEODORIDIS contemporary freut sich zum Saisonauftakt Stefan Thiel und Nadine Wottke in einer gemeinsamen Ausstellung zu präsentieren. Die Idee zu ‘If you can, give me love’ beruht auf dem Wunsch der beiden Künstler zusammen auszustellen und lässt ihre neuen Arbeiten in einen spannenden Dialog treten.

Der Ausstellungstitel ist dem bekannten Song ‘If you can‘t, give me love’ von Suzie Quatro aus dem Jahr 1978 entlehnt. Eine damals rockige Ballade in der Quatro von einer flüchtigen Diskothek-Bekanntschaft Liebe einfordert: Liebe und nicht einen One Night Stand. Als die freie Liebe in den 60er Jahren durch die Entwicklung der Anti Baby Pille ihren Siegeszug antrat die biederen Moralvorstellungen wegzufegen, konnte sich niemand vorstellen, was sich alles verändern würde – oder eben nicht. Zusammen mit der sexuellen Freiheit der 70er Jahre hat sich nicht nur unser Liebesleben gewandelt und liberalisiert. Die Ökologie-, Anti-Atomkraft-, Friedens-, Frauen- und Schwulenbewegung sind nur einige Beispiele für den politischen- und sozialen Umbruch der zur selben Zeit stattfand. Und mit dem Internet und seiner gleichsam grenzenlosen Bilderflut wird heute unsere Neugier und Lust auf einfachste Weise bedient und gestillt. Sex, ob real oder virtuell ist jederzeit verfügbar.

Und doch scheint die Sache mit der Liebe trotz allen Freiheiten und Möglichkeiten ihre Crux zu haben. Denn wenn es zur Sache kommt, ist der Mensch real, auf sich gestellt und vor allem verletzlich. Thiel und Wottke blicken kess hinter den Vorhang der Selbstdarstellung und Selbstfindung: entwaffnende Ansichten nackter Menschen.

Ausgehend vom ‘album amicorum’ des 19. Jahrhunderts, das Silhouettenschnitte von Freunden umfasste, schlägt Thiel eine Brücke zur Facebook Freundesliste unserer Zeit. Sein ‘Black Face Book’ zeigt homoerotische Formen der Selbstdarstellung, die er zunächst aus dem Internet sammelte und später selbst inszenierte und fotografierte. Album amicorum und Facebook unterscheiden sich in ihren Vorzeichen. Denn während das Verschenken der Silhouette ein Zeichen einer bestehenden Freundschaft war, erscheinen in Facebook Bewerbungsfotos erst um diese Freundschaften zu begründen. Und wie in der Bewerbung versucht man sich selbst perfekt und begehrenswert darzustellen. Thiels Ausblenden fotografischer Details, der Schritt zurück in die Silhouette zeigt die Muster dieser Konventionen und fordert uns auf, die Leerstelle selbst mit unseren Standards und Phantasien anzufüllen.

In Wottkes Porzellanfiguren spiegeln Fantasien unsere existenzielle Verletzlichkeit und unsere Hoffnungen. Die Figur auf dem Stier in ‘I don't want your freedom’ offenbart sich nackt und lustvoll auf einer Bullrider Maschine und bläst cool eine rosa Kaugummi Blase auf. Es ist dieser kurze Moment der Erkenntnis, in dem wir vor unserem inneren Auge nackt dastehen und uns selbst erkennen, den Wottke festhält. Der kurze Moment, in dem wir befreit von äusseren und inneren Zwängen tief Luft holen, loslassen und begreifen. Die nackten Körper und Fetischobjekte bei Wottkes Figuren dienen also nicht zur Darstellung sexueller Präferenzen sondern wirken als emotionale Hilfestellungen bei der Bergung existenzieller Rätsel.

Trotz liberalen Lebensformen und technischen Hilfsmitteln hat sich der Mensch betreffend Lebensfragen und Lebenstauglichkeit nicht gross verändert. So erstaunt es nicht, dass schon Quatro, die unabhängige Rockerbraut nach einem romantischen Happy End schmachtet: ‘That ain’t enough....if you can't give me feelings with old fashioned meanings’