Ursula Groser

ÜBERTRITT
31. August 2008 – 18. Oktober 2008

Im Projektraum ‘Ehegraben’ freut sich WIDMER+THEODORIDIS contemporary die österreichische Künstlerin Ursula Groser zu präsentieren. Gezeigt wird die speziell für den Projektraum ‘Ehegraben’ konzipierte Videoinstallation ‘Übertritt’.

Ursula Groser lotet in ihrer neuesten Arbeit das Spektrum unserer Existenz als Individuum und Teil der Gesellschaft und somit der Masse aus. Das Spannungsnetz, das sie damit aufbaut dient ihr als Spielfeld und Ausgangspunkt diametral entgegengesetzter Ängste und Wünsche nach Bindung und Unabhängigkeit.

Schrittweise stellt Groser in ‘Übertritt’ den Zusammenschluss von Individuen zu einer Gruppe und die daraus resultierende Auflösung zu einem abstrakten texturartigem Muster dar. In ‘Masse und Macht’ beschreibt und analysiert Elias Canetti den für Groser wichtigen Prozess:
 

"Eine ebenso rätselhafte wie universale Erscheinung ist die Masse, die plötzlich da ist, wo vorher nichts war. Einige wenige Leute mögen beisammen gestanden haben, fünf oder zehn oder zwölf, nicht mehr. Nichts ist angekündigt, nichts erwartet worden. Plötzlich ist alles schwarz von Menschen. Von allen Seiten strömen andere zu, es ist, als hätten Strassen nur eine Richtung. Viele wissen nicht, was geschehen ist, sie haben auf Fragen nichts zu sagen; doch haben sie es eilig, dort zu sein, wo die Meisten sind. Es ist eine Entschlossenheit in ihrer Bewegung, die sich vom Ausdruck gewöhnlicher Neugier unterscheidet. Die Bewegung der einen, teilt sich den anderen mit, aber das allein ist es nicht: sie haben ein Ziel. Es ist da, bevor sie Worte dafür gefunden haben: das Ziel ist das schwärzeste – der Ort, wo die meisten Menschen beisammen sind."

Groser zeichnet in ihrer Arbeit die Gesellschaft als Gravitationspunkt menschlichen Zusammenseins, als schwarzes Loch, in dem die Energie gebündelt wird und das Individuum sich auflöst. Diesen Moment bezeichnet sie als Übertritt und Auflösung in die Masse auf.
 

"Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes." E. Canetti

Während im Video die Menschen ineinander und übereinander gehen, ist im engen Ehegraben ein Vorbei- oder Durchkommen ohne Körperkontakt unmöglich. Die physische Nähe der anderen Betrachter zwingt jeden Einzelnen zu einer strategischen Überlegung wie diesem Kontakt begegnet werden kann. Irrationale Ängste vor diesem Körperkontakt werden durch Rituale – gesellschaftliche oder individuell entwickelte – rationalisiert. Für Canetti galt: "Es ist die Masse allein, in der der Mensch von seiner Berührungfurcht erlöst werden."