Lydia Wilhelm präsentiert in ihrer ersten Einzelausstellung bei widmertheodoridis eine eigens für diese Ausstellung konzipierte Installation, sowie weitere Arbeiten aus ihrem Portfolio.
Protonenisomere, Skelettisomere, Konfigurationsisomere, Rotationsisomere – alles sind sie Modelle, welche in der Stereochemie den räumlichen Aufbau chemischer Verbindungen beschreiben. Was zunächst verwirrend und unüberschaubar aussieht, hat nur den Zweck Ordnung in das System zu bringen.
Schon Aristoteles war es wichtig, die Natur in Klassen einzuordnen, um sich so einen Überblick zu verschaffen. Auf der Grundlage der Naturbeachtung thematisierte er die Arten und Prinzipien der Veränderung. Entstehen und Vergehen beschrieb er mit Hilfe seiner Unterscheidung von Form und Materie. Seiner Meinung nach war die Natur nach einem stimmigen Plan aufgebaut, der sich erfüllt, wenn jedes Ding den in ihm enthaltenen Zweck verwirklicht und so sein Wesen vollbringt.
Mit ‚Schere, Stein, Papier’ verschafft sich auch Lydia Wilhelm Ordnung in ihrem System: Ihre gefalteten Fotografien über alpinen Verwerfungen restituieren visuelle Ordnung, gefaltete Kristallmodelle dokumentieren unterschiedliche räumliche Strukturen oder unzählige Metallkugeln registrieren seismographische Veränderungen.
Der Mächtigkeit geologischer Plattentektonik ist sich die aus Disentis stammende Künstlerin sehr wohl bewusst. Diese Kraft hat Kontinente zusammengeschoben und riesige Bergmassive tausende von Metern hoch aufgeworfen. In ihrer Arbeit ‚Umordnung’ bändigt Wilhelm dieses scheinbare Chaos, indem sie aus Fotografien ein geometrisch perfektes Plisseemuster formt und dem zweidimensionalen Bild eine dreidimensionale Form gibt.
In ‚Einsicht’ bleibt Wilhelm diesen geologischen und chemischen Phänomenen weiterhin auf der Spur und formt aus den Seiten eines Lehrbuchs für Stereochemie dreidimensionale Kristallkörper. Fein säuberlich ausgebreitet und auf ihren eigenen Archivboxen platziert, dokumentieren diese Modelle die geordnete Vielfältigkeit der Natur.
Der Fluss der Zeit und die Verwandlung der Dinge sind beides Grundpfeiler in Wilhelms Arbeiten, wie auch in der Aristotelischen Philosophie und Systematik. In ihrer neuesten Arbeit geht Wilhelm genau diesen Fragen nach. Mit über zweitausend Metallkugeln, streng geometrisch angeordnet, unternimmt sie den Versuch, Bewegung und somit Existenz im Galerieraum zu erfassen und praktisch zu beweisen.
Lydia Wilhelm lebt und arbeitet in Winterthur. Sie hat an der Hochschule Luzern Kunst und Vermittlung studiert und an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel das Master-Studium Fine Arts abgeschlossen. Diverse Atelierstipendien in Paris, Berlin und Reykjavik. Diverse Ausstellungen, zuletzt in der Kunsthalle Winterthur, Kunstmuseum Winterthur und Neuer Shed, Frauenfeld.