‘Ich bin der Ansicht, dass der Mensch seine ursprüngliche Bindung zur Natur verliert. Das Empfinden für Einfachheit und Wahrhaftigkeit wird verdrängt von technischen Raffinessen, Fortschritt, Wachstum und Sensationsgehabe. Die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung rückt in den Vordergrund – und mit ihr der Mensch als steuerbarer Konsument. Kurzlebige Trends werden gesetzt. Was muss man besitzen, wie muss man sein und wie möchte man gesehen werden? Ich lehne diese Oberflächlichkeit ab. Ich empfinde unsere Gesellschaft als ein großes Schauspiel, eine Bühne, auf der ständig neue Richtungen und Stile erfunden werden wollen, die nur den Anschein geben, sie seien von Bedeutung. Naturverbundenheit, Aufrichtigkeit und Bescheidenheit spielen eine untergeordnete Rolle. Solche Tugenden, wie sie auch die deutschen Romantiker und Naturalisten des 19.Jh. versuchten zu vermitteln und auf dessen Gedankengut ein Großteil meiner künstlerischen Auseinandersetzung beruht, werden kaum geschätzt.’ (Clemens Tremmel)
Als nach den dunklen Zeiten des Mittelalters (Dark Ages) die Aufklärung Licht und (rationale) Ordnung versprach, wurde alles der vernunftgerichteten Philosophie und dem von der Antike inspirierten Klassizismus untergeordnet. Individualität, Leidenschaft und somit auch individuelles Erleben wurden verdrängt und disqualifiziert. Erst durch das Aufkommen der Romantik konnte wieder Raum für das Gefühl und das Wunderbare entstehen. Das ‘Wahre’ wurde nicht mehr im Intellektuellen gesehen, sondern im einfachen – weil naturnahen – Verhalten des Volkes. Mystizismus, Volkstänze (Schubert), Sagen (Grimm) waren beliebte Sehnsuchtsorte der Romantik und sollten nach den aufklärerischen Sturm und Drang Zeiten wieder Halt und Geborgenheit geben.
Nicht ganz unähnlich unseren heutigen Zeiten. Nach der Informations- und Bilderflut, die das Internet-Zeitalter losgetreten hat, sind viele Menschen mit den damit verbundenen, unzähligen Möglichkeiten und Risiken völlig überfordert. Das Computerzeitalter mit seinen bahnbrechenden Technologien verspricht dem modernen Menschen, dass alles möglich ist, dass alles machbar ist. Jederzeit. Diesem permanenten Erwartungs- und Leistungsdruck und der damit verbundenen Verfügbarkeit und vermeintlichen Transparenz entzieht sich Tremmel durch die Verweigerung des vollständigen Bildes. Sein Mut zur Lücke eröffnet dem Betrachter die Möglichkeit mit dem scheinbar Verlorenen in einen Dialog zu treten. Was nicht sichtbar ist, muss nicht zwingend verloren sein.
Clemens Tremmel lebt und arbeitet in Leipzig. Sein Studium der Bildenden Kunst hat er 2014 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden abgeschlossen. Diverse Ausstellungen in Galerien und verschiedene Auszeichnungen, zuletzt das Hegenbarth-Stipendium und den Caspar-David-Friedrich-Preis.