'Negativ-Positiv' besteht aus 78 Portraits, entstanden aus und nach Gesprächen über die Sexualität der Portraitierten, die Bilder selbst sind eine Weiterführung dieses Dialogs durch die Kamera. Sie sprechen nicht nur über Sexualität (wo, wie und mit wem wie oft?), sondern auch über Verantwortung, Respekt, Selbstbewusstsein und Selbstbetrug. Entstanden sind die Bilder in der Hoffnung, dass sich ein befreiter, ein ehrlicher Blick offenbart. Dieser pflanzt sich im Idealfall fort von den Portraitierten über den Blick in die Kamera - auf Film entwickelt und Fotopapier gebannt - hin zu den Blicken der Betrachtenden.
'Negativ-Positiv' konfrontiert seine Betrachter auf Augenhöhe. Die Arbeit ist der visuelle Versuch, das HI-Virus und die Krankheit Aids zu entstigmatisieren. Ob er gelingt, liegt auch am Willen des Betrachters sich auf diese Konfrontation einzulassen. Die Begegnung mit dem unverwandten Blick der portraitierten Modelle soll Fragen auf- und auch zurückwerfen, allen voran natürlich: 'Negativ? Positiv?' Die Flucht in Zahlen, Statistiken und sichtbare Gewissheiten bleibt verwehrt. Die Portraitreihe ist die Dokumentation einer Ist-Situation. Sie ist Hintermanns Art und Weise, dem Status-Quo ein menschliches Antlitz zu verleihen, sogar zurückzugeben.
'Negativ-Positiv' macht HIV nicht sichtbar, aber schärft das Bewusstsein. Ohne den portraitierten Gesprächspartnern den Rahmen des Privaten rauben zu wollen, werden die Bilder und die Spuren der Begegnungen in den öffentlichen Raum gestellt. Nicht an die Moral appellierend, aber die Frage nach einer Verantwortung stellend, denn „ein Virus kennt keine Moral“.
Gerhard Hintermann lebt und arbeitet in Zürich.